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Henry van de Velde - Stube befindet sich im Verwaltungsgebäude des Altersheimes
   
 
Henry van de Velde wiederentdeckt - das Sanatorium Trebschen (1902/03)
 
Im Herbst 2003 fand in Trzebiechow (Trebschen) eine internationale Pressekonferenz statt. Fachleute und Journalisten aus Belgien, Deutschland und Polen fanden sich zusammen, um ein lange vergessenes Werk des berühmten belgischen Jugendstilkünstlers Henry van de Velde (1863-1957) der Öffentlichkeit vorzustellen.

Trzebiechów (Trebschen) ist ein kleines Dorf in der Nähe von Zielona Gora (Grünberg) und liegt mit dem Auto nur eine Stunde von der heutigen deutsch-polnischen Grenze entfernt. Eine von Kastanien umsäumte Allee führt den Besucher direkt zu einem Schloß. Hausherrin dieses Schlosses war einst Marie Alexandrine Prinzessin Reuß. Sie stammte aus Weimar, war die Tochter des kunstsinnigen Großherzogs Carl Alexander und hegte seit 1897 den Plan, in Trebschen ein Sanatorium bzw. eine "Physikalische und diätische Kuranstalt" zu gründen. Sie beauftragte 1902 den Zwickauer Architekten Max Schündler mit dem Bau eines umfangreichen Gebäudekomplexes, bestehend aus Hauptbau, Arzthaus und diversen Nebengebäuden. Auch ein Sanatoriumspark mit Luftkurhaus, Liegehallen, Tennisplatz, Luftbad und Kegelbahn durften nicht fehlen.

Der Auftrag zur Innenausstattung erging bald darauf an keinen anderen als an den damals sehr modernen belgischen Architekten und Designer Henry van de Velde (1863 - 1957). Ihn kannte die Prinzessin vermutlich aus Weimar, denn dort hatte sich van de Velde gerade niedergelassen und unter der Schirmherrschaft ihres jungen Neffen - Großherzog Wilhelm Ernst - das kunstgewerbliche Seminar gegründet.

Der Auftrag war ehrenhaft und herausfordernd zugleich. Van de Velde hatte bisher weder für den Hochadel gearbeitet, noch ein Sanatorium ausgestattet. Außerdem musste er den Kompromiss eingehen, ein bereits vorhandenes Gebäude mit festgelegten Raumstrukturen im Inneren zu gestalten. Man kann davon ausgehen, dass dies nicht unbedingt seinen gesamtkünstlerischen Intentionen entgegenkam. Dennoch: der Auftrag erstreckte sich nicht nur auf die bloße Möblierung der Zimmer. Noch heute sprechen zahlreiche Details für seinen eleganten Stil: geschwungene Treppen, edle Messingbeschläge oder ornamentale Türumrahmungen.

Das Arzthaus wurde als Arbeits- und Wohnhaus für den leitenden Arzt Dr. Oscar Müller konzipiert. Im Hochparterre waren die Sprechzimmer und Büros der Ärzte untergebracht. Auch befanden sich dort die Räume für alle elektrischen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, ein Röntgenkabinett sowie die Bibliothek des Chefarztes. Vorbei an einer reich gestalteten Tür, die an das Weimarer Nietzsche-Archiv erinnert, gelangte man über einen schmalen Treppenaufgang in die großräumige Oberlichthalle mit umlaufender Galerie. Glaubt man den Worten van de Veldes, so sollte die Diele einen „schlichten, starken und würdigen Charakter“ erhalten. Dies verwundert nicht, handelte es sich doch um den repräsentativen Wohnbereich des leitenden Arztes. Als großzügig angelegte Wohndiele konzipiert, fanden sich dort ein gemütlicher Kamin, eine Einbaubank mit Regal und eine markante Treppe mit Galerie, von der aus Türen in die privaten Zimmer abgingen.

Vom Arzthaus gelangte man durch einen überdachten Gang direkt in den Hauptbau des Sanatoriums.

Das dreigeschossige Patientenhaus beherbergte Gesellschafts- und Verpflegungsräume sowie annähernd 30 Patientenzimmer. Gleich hinter dem repräsentativen Haupteingang begegnet der Besucher auch heute noch der Innenausstattung von Henry van de Velde, die sich anmutig und keinesfalls aufdringlich in das vorgegebene Raumprogramm und die bereits vorhandenen Einbauten integriert. Das expressiv geformte Treppengeländer mit seiner abstrakten Linienführung ist ein Meisterwerk der Fa. Hans Scheidemantel in Weimar, während die jugendstilig verschlungenen Blumengitter und die Türen des Aufzuges durch die Hof-Kunstschlosserei Otto Bergner in Bad Berka ausgeführt wurden.

Von der zentralen Halle im 1. Obergeschoß kommt man direkt in den wohl schönsten Raum des Sanatoriums. Dieser wurde von van de Velde in zwei Bereich unterteilt. Vorne befand sich der Lesesaal mit großen Tischen, kleinen Beistelltischchen sowie zahlreichen Stühlen, und bequemen Sesseln. Ursprünglich getrennt durch eine verglaste Eisenkonstruktion, wölbt sich der hintere Teil des Raums als Wintergarten konvex in den weitläufigen Landschaftspark.

Den gegenüberliegenden Speisesaal beabsichtigte van de Velde nach seinen eigenen Worten "einfach, einfach" einzurichten. Er empfahl zwei große Tische, an denen ungefähr 30 Personen Platz nehmen konnten. Dazu schlichte Stühle mit Sitzen aus Korbgeflecht.

Neben den Gesellschaftsräumen im Hauptgebäude hat van de Velde auch die Türen der Patientenzimmer im ersten und zweiten Geschoß entworfen. Der Architekt Max Schündler berichtet der Prinzessin Reuß von einem Kostenvoranschlag der Firma Scheidemantel, in dem von insgesamt 48 Türen die Rede ist. Die schlichte und funktionale Einrichtung der Patientenzimmer stammte übrigens von zwei Entwerferinnen der Werkstätten für Deutschen Hausrat in Dresden, Margarethe Junge und Gertrud Kleinhempel.

Das Sanatorium wurde schon gut vier Jahre nach seiner Eröffnung, im Sommer 1908, wieder geschlossen. Auch der Wechsel in der Leitung im Jahre 1906, von dem wenig bekannten Medizinalrat Dr. Oscar Müller zu dem renommierten Dr. med. Brennecke aus Dresden hatte dem Unternehmen keinen wirtschaftlichen Erfolg gebracht. Der Grund war die äußerst umständliche Anreise. Man brauchte damals vom Bahnhof in Züllichau noch einmal zwei Stunden mit der Kutsche nach Trebschen.

In den gut erhaltenen Gebäuden befindet sich heute ein Altersheim. Besucher, die sich für dieses gut 100 Jahre vergessene Werk des berühmten belgischen Jugendstilarchitekten Henry van de Velde interessieren, sind jederzeit willkommen. Trotz der zahlreich erhalten gebliebenen Briefe von Henry van de Velde und Max Schündler an die Prinzessin Marie Alexandrine von Reuß, sind noch viele Fragen zu der Geschichte des Sanatoriums offen. Wer kennt Dr. Oscar Müller oder Dr. Brennecke? Wir freuen uns über jeden Hinweis - zu Trebschen, der Prinzessin Reuß und zu Henry van de Velde...

Antje Neumann / Brigitte Reuter

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