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Henry van de Velde - Stube befindet sich im Verwaltungsgebäude des Altersheimes
   
 
Henry van de Velde - Leben und Schaffen
 
Im Jahre 1933 sagte Minister Camille Huysmans in der Geburtstagsrede anlässlich des 70. Geburtstages von Henry van de Velde: "Henry van de Velde ist nicht nur ein großer anerkannter Künstler, sondern auch einer der anderen den Weg geebnet hat. Wir kennen seine Werke. Sie zeichnen sich durch logische Konstruktion aus, was einen ästhetischen Erfolg mit sich bringt. Henry van de Velde befreite uns von der zerstückelten Form, von den Ornamenten, die so oft ohne Rücksicht auf die Struktur verwendet werden. Er brachte uns auf den Weg der edlen Linie und der reinen Einfachheit."

Es ist nicht nur ein Kompliment, sondern eine treffende Definition des Schaffens des großen Künstlers. Das lange und intensive Leben von Henry van de Velde lässt sich nicht so einfach zusammenfassen. Seine Europareise kann in fünf Zeitabschnitte unterteilt werden, den belgischen, den deutschen, den schweizerischen, den niederländischen und nach Jahren wieder den belgischen. Sein vielseitiges Schaffen (Architektur, Möbelentwürfe, Stoffmusterentwürfe, Keramikarbeiten, Metallplastiken und Arbeiten in der Kunsttheorie) bleibt noch für lange Zeit die Inspirationsquelle für zahlreiche Studien. Bis jetzt sind viele Publikationen über sein Werk erschienen.

Henry van de Velde ist als siebtes Kind von acht Kindern in einer bürgerlichen Familie (sein Vater war Chemiker) 1863 in Antwerpen geboren. Zuerst deutete alles darauf hin, dass der junge Mann eine typische Laufbahn seines Milieus beschreiten würde. Seine Vorliebe zum Abenteuer widersprach jedoch den damaligen Erwartungen. Obwohl sich Henry van de Velde mehr für Musik interessierte (der Komponist Peter Benoit war der Freund der Familie), nahm er das Studium an der Akademie der schönen Künste in Antwerpen auf. Er studierte verschiedene Zeichentechniken. Auf die Bitte von Charles Verlat, des Direktors der Akademie, setzte Henry van de Velde sein Studium in dessen Privatwerkstatt fort. Von seinen Jahren an der Akademie sagte Henry van de Velde später: "Es war eine bittere und verlorenen Zeit. Das akademische Studium war schwer und ergebnislos. Wie weit war es von dem Abenteuer und der Unabhängigkeit, die das Wesentliche der Kunst ausmachen, entfernt."

Im Jahr 1884 sah er das Werk von Monet "Bar aux Folies Bergère" auf einer Ausstellung in Antwerpen. Das Werk übte einen so großen Eindruck auf ihn aus, dass er seinen Vater um die Erlaubnis bat, in Paris studieren zu dürfen. Mit 21 begab er sich in die Hauptstadt Frankreichs. Er lernte dort in den Werkstätten von Bastien Lepage und Carolus Duran. Zuerst von der Barbizon-Schule begeistert, kehrt er enttäuscht nach Antwerpen zurück. Der Maler Emile Claus schlug ihm einen Besuch in Wechelderzande vor, wo sich große belgische Künstler angesiedelt hatten. Van de Velde beabsichtigte dort einen Kurzaufenthalt, blieb aber vier Jahre lang in dem Dorf. Dort kam er in engen Kontakt mit dem Landleben, mit dem er schon früher in Barbizon in Berührung gekommen war. Während des Aufenthaltes schrieb er ein Essay unter dem Titel "Du paysan en peinture" (historisch-ästhetische und soziologische Analyse) und schuf eine Serie von Bildern und Pastellen. Der Aufenthalt in Wechelderzande übte einen bedeutenden Einfluss auf das Werk von Henry van de Velde aus. Er schrieb: "In den weit gelegenen Dörfern in der Tiefebene Campine las ich und dachte nach. Meine Gedanken brachten mich von meinen früheren antigesellschaftlichen Malereiformen und vom Künstlerleben, das ich kannte, ab. Nur derjenige, der allen hilft, ist nützlich, so sagen mir mein Herz und mein Verstand."

Van de Velde legte in seinen früheren Malwerken und Zeichnungen einen großen Wert auf die flachen Oberflächen, die er harmonisch zu beleben versuchte. Eine ähnliche Einstellung hatte er zu dem Raum in der Architektur und in der Gebrauchskunst. Ohne von der Qualität seiner Zeichnungen aus dieser Zeit zu sprechen, stellt man fest, dass die Zustimmung für seine Ästhetik zunahm. Im Jahre 1884 wandte er sich für immer von der Malerei ab. Im Herbst 1888 wurde er Mitglied der Brüsseler Avantgardistengruppe "Les XX". Es fing eine neue Etappe seines Lebens an, ein neuer Weg, den er zu beschreiten begann. Während der Ausstellung der Gruppe "Les XX" wurden lediglich Malwerke gezeigt. Jedoch wuchs seit 1891 das Interesse an dem Kunstgewerbe. Jules Cheret stellte seine Plakate aus, Walter Crane Kinderbücher und Gaugin hatte seine erste Keramikausstellung, und A. W. Finch neben seinen Malwerken auch die ersten Keramikarbeiten. In dieser Zeit verkaufte man in Brüssel ganz seltene Produkte der britischen Firma Liberty. Der Laden, der "Compagne Japonaise" gehörte, verkaufte lackierte Tische, Teppiche, Künstlerglas und Tafelgeschirr. A. W. Finch machte als erster Henry van de Velde mit den Ideen von Ruskin und Morisson bekannt. Van de Velde interessierte sich besonders für den gesellschaftlichen Aspekt ihrer Arbeiten, für den Kampf um die Anwesenheit des Handwerkes und der Kunst im alltäglichen Leben des Menschen. Seine persönlichen Kontakte mit führenden Sozialisten, Emilia Vandervelde und Max Hallet schärften seine Sensibilisierung für die Integration der Kunst in das gesellschaftliche Leben.

Das Jahr 1893 war für Henry van de Velde besonders wichtig, sowohl in dem künstlerischen, wie auch im privaten Leben. Im Winter 1892/ 93 fertigte seine Tante nach seinem Entwurf eine Stickerei mit dem Titel "Engelwake". Die Arbeit wurde 1893 auf der Ausstellung "Les XX" gezeigt.

Auf dem Empfang bei Theo van Rysselberghe lernte van de Velde seine junge Schülerin kennen. Es war Maria Sethe, Tochter eines wohlhabenden Industriellen aus Uccle (Brüssel). Als sie von seinen Interessen an Kunst und Handwerk erfahren hatte, versprach sie ihm, über die künstlerischen Neuigkeiten aus London zu berichten. Dank diesen Kontakten konnte van de Velde eine seiner ersten Sammlungen von Metallarbeiten und andere Werke im Geiste der fortschrittlichen englischen Gebrauchskunst ausstellen. Im Oktober 1893 fing van de Velde einen Vortragszyklus an der Kunstakademie in Antwerpen an, den er mit eigenen Arbeiten illustrierte.

In seiner Autobiographie schreibt er über die eigenen Vorträge an der Kunstakademie: "Anhand der Reproduktionen und Originale, über die ich verfügte, analysierte ich verschiedene Kunst- und Handwerksrichtungen - und die Entwicklung verschiedener Techniken, die einen Beitrag bei dem Übergang von der Hand- in die Massenproduktion leisteten. Es war eine Revolution. Selbst Ruskin konnte es mit seiner exzentrischen Haltung nicht stoppen. Man hatte die Maschinen wegen der Verbreitung von Hässlichkeit ungerechterweise angeklagt. Es zeigte sich nun, wie geldgierig die Industriellen gewesen waren, da sie den Markt mit Massenprodukten beherrschen wollten." Henry van de Velde meinte: "Der gute Ruf der Industriellen wird zukünftig von dem ästhetisch-moralischen Wert der in den Fabriken hergestellten Produkten abhängen."

Seine Anschauungen verkündete er in der Vortragsreihe über die Verzierung in der Industriekunst. Diese Reihe an der "Neuen Universität" zu Brüssel bildete die Grundlage seiner ersten 1884 erschienenen Veröffentlichung "Unterordnung der Kunst" ("Deblaiment d’art"). Sie zählte 33 Seiten und wurde in beschränkter Auflage von 150 Exemplaren herausgegeben. Es war ein typographisches Meisterwerk und zugleich ein leidenschaftlich verfasster Aufruf zur Wiederkehr der Kunst, "die zur Überwindung der eigenen Eitelkeit und der Verachtung der künstlerischen Suche nach Funktionalität strebe. Wir arbeiten uns tot, wir versuchen in dieser Langeweile zu lächeln".

Am 30. April 1894 heiratete Henry van de Velde Maria Sethe. Das Ehepaar zog in das Haus von Marias Mutter ein. Henry van de Velde machte seine ersten Schritte in der Architektur im Auftrag seiner Schwiegermutter, er durfte einige Änderungen in dem Haus durchführen. Für seine Schwägerin Irma entwarf er sein erstes Kunstgewerbeprojekt, einen Satz Möbel. Den Bau seines ersten Zuhauses auf einem in der Nähe gelegenen Grundstück hat er auch seiner Schwiegermutter zu verdanken. Bloemenwerf (1895-96) hieß das Haus als Erinnerung an ein Landshaus, das er während der Flitterwochen in den Niederlanden gesehen hatte. Ohne jegliche architektonische Vorbereitung schuf van de Velde ein Werk, das eine Widerspiegelung seiner theoretischen Anschauungen mit sich brachte: radikale Abkehr von jeglichem früherem Stil, Erweiterung der Wohnfläche, Einheit, Sparsamkeit und Verbundenheit der Architektur mit der Gebrauchskunst sollten gezeigt werden. Heute ist es ein Werk, das für sich selbst plädiert. Aber im Jahre 1895 war es ein Objekt der Verspottung und Kontroverse. Obwohl das Landhaus Bloemenwerf von außen einem englischen Haus in gewissem Maße ähnlich war, war es jedoch ein revolutionäres Projekt. Das Haus enthielt nach der Meinung van de Veldes etwas, was über Logik und Einfachheit stand, etwas, was sowohl die Architekten als auch das Publikum in Verwunderung versetzte: "Eine untypische Hausfassade und Form, fehlende Symmetrie an den Fenstern und bei der Dachform konnten nicht verziehen werden. Man konnte keinen bestimmten Stil erkennen, es gab dafür keine Entschuldigungen: weder Geldmangel noch Sparsamkeit". Das erste architektonische Werk von van de Velde konnte mit Sicherheit als vollkommen betrachtet werden. Es ist auch anders als sein späteres Gebäude in Hogenhof (Hagen, 1907). Das Haus in Bloemenwerf verwirklichte in der Praxis die theoretischen Anschauungen van de Veldes über Kunst. Sie werden durch die überlegte Linienführung deutlich, die ein Novum an sich bedeutet.

Für Bloemenwerf entwarf Henry van de Velde nicht nur das Haus selbst, sondern auch die Möbel: "Ich dachte an alles, was vollkommen ist, an alles, was mit Sentimentalität belastet wird, an alles, was man einfach mit dem Verstand fassen kann. Unsere Möbel schienen mir ideal zu sein, schlicht, ohne überflüssige Verzierungen bringen einen auf den Gedanken, in eine frische ferne Ecke eines sonnigen Tals versetzt zu sein. In ihrer stilistischen Einfachheit bilden sie eine Herausforderung gegenüber den in den Antiquitätenläden angehäuften Gegenständen gegenüber. Glänzend lackierte, aus Eschenholz gefertigte Möbel mit überlegten Details sättigten die Augen und den Geist. Heute würden sie niemanden in Verwunderung versetzen, aber in der damaligen Zeit war dieser Stil ein Ereignis".

Die Sensation wurde immer größer. Die Möbel aus Bloemenwerf sind im Salon "La Libre Esthetique" im Jahr 1896 in Paris als Nachfolger von "Les XX" ausgestellt worden und, wo Siegfried Bing die Ausstellung "L’art nouveau" nach dem Beispiel von "La maison d’art" aus Brüssel 1894 plante. Das Projekt der ersten Ausstellung von S. Bing kehrte den organisierten Ständen den Rücken. Die Kunstwerke sollten in verschiedenen Räumlichkeiten gezeigt werden, um ihre Vorteile hervorzuheben. Im Jahre 1895 schlug S. Bing Henry van de Velde Möblierung von vier Zimmern in seiner neuen Wohnung in Paris: eines Speisezimmers, eines Raucherzimmers, das mit Holz aus dem Kongo getäfelt sein sollte, eines Arbeitszimmers in Zitronenholz und eines Rundzimmers, das im Stil an die Wanddekorationen anknüpfen sollte. Die Ausstellung rief einen Skandal hervor und wurde scharf kritisiert. Henry van de Velde und die anderen Aussteller haben mit dem überall vorhandenen französischen Stil abgebrochen. In seinem Stammbuch kommentiert Edmont de Goncourt die Arbeiten von van de Velde mit den bitteren Worten: "So sollen in der Zukunft die französischen Möbel aussehen? Nein, zweifach nein."

Die Projekte wurden bekannt. Die Information darüber kam sogar nach Deutschland. Die Dresdner, die nach Paris kamen, um neue Ideen für die "Dresdner Kunstgewerbeausstellung" 1897 zu suchen, entschieden sich auch für den Besuch von "L’Art Nouveau" in Paris. Sie haben van de Velde sofort nach Dresden mit den vier Zimmerprojekten von S. Bing und mit einem neuen Projekt "Ruheraum" eingeladen. Im Gegensatz zu der Pariser Ausstellung wurde die deutsche Ausstellung des Henry van de Velde mit großem Enthusiasmus empfangen.

Dresden 1897, das war der Anfang der Kariere von Henry van de Velde in Deutschland, und zwar in jeder Hinsicht, sowohl was die Menge, als auch die Qualität der Arbeiten betraf. Zu den ersten Auftraggebern gehörten Julius Meier Graefe (Kunstkritiker, Verleger der Magazine "Dekorative Kunst" (1897) und "L’art decoratif" (1898), Harry Graf Kessler und Baron Eberhard von Bodenhausen. Es waren große Kunstliebhaber und miteinander befreundete Redaktionskollegen der Zeitschrift "PAN". Dank diesen Mäzenen konnte van de Velde seine Ideen in ihren Kunstmagazinen vorstellen. Im Jahre 1897 veröffentlichte er seinen kontroversen Artikel unter dem Titel: "Entwurf und Bau moderner Möbel". Die erste Nummer von "L’art decoratif" im Oktober 1898 war ausschließlich seiner Arbeit gewidmet. E. von Bodenhausen und H. Kessler waren seine ersten Sponsoren in Deutschland. Im Auftrag von E. von Bodenhausen sollte van de Velde Werbematerial für seine Firma "Tropon" und ein Möbelprojekt vorbereiten. H. Kessler bestellte sich neue Möbel für sein Zuhause in Berlin. Meier Graefe hat bei ihm das Projekt der Innenausstattung seines "La Maison Moderne" in Paris beantragt. Dank den Bemühungen von E. von Bodenhausen ist eine Gesellschaft "Société van de Velde" in Ixelles in Brüssel gegründet worden. Dort konnten die Möbelentwürfe von van de Velde produziert werden. Da die Zahl der Bestellungen (einschließlich der Ladenprojekte für die Berliner Firma "Haben" und Arbeiten für das Folkwang Museum in Hagen ) ständig wuchs, hatten die Werkstätten in Ixelles Probleme mit Organisation und Finanzierung (Transport, Zollabfertigung). Im Winter 1900/ 01 zog die Firma nach Berlin um. Im Oktober 1900 ging auch die Familie van de Velde nach Deutschland.

In dieser Zeit schuf van de Velde neue Stoffmuster für die Seidenfabrik in Krefeld, die in starker Konkurrenz mit der Fabrik in Lyon stand. Die Firmenbesitzer hatten vor, einen neuen ästhetischen Stil vorzuschlagen, um einen Teil des Marktes zu übernehmen. In Berlin beobachtete van de Velde einen großen Kontrast zwischen der alltäglichen Kunst und den dynamischen Trends in den angewandten Künsten, der Literatur und in der Musik. Henry van de Velde war enttäuscht über das mangelnde Interesse der Industrie und über seine Zusammenarbeit mit der Möbelfirma Hirschwald. In seiner Berliner Zeit bewirkte er eine seiner wichtigsten Arbeiten: Änderungen im Folkwang Museum in Hagen (1900-1902). Zuerst sollte sich van de Velde im Auftrag von Karl Ernst Osthaus nur mit Grundarbeiten befassen, jedoch dank seinen Bemühungen wurde das ganze Bauwerk plastischer (gewann eine neue Linie). So schrieb er über diese Arbeit: "Ich habe versucht neue Linien, die zu den Metallkonstruktionen und zu den waagerechten Elementen des Bauwerkes passen würden, zu zeichnen. Ich das Problem, das aus der Natur bekannt ist, gelöst: wie soll das Gerüst mit den Körperteilen verbunden werden. Die Aufgabe, das Metallgerüst auszufüllen, schien ganz natürlich zu sein." Seit 1896 verzichtete man allmählich auf den so sparsamen Stil (der erste Auftrag von S. Bing), den wir von den Erstarbeiten kennen (Bloemenwerf). Es wurden immer mehr Elemente aus Luxusstoffen gefertigt. Die sinusartig geschwungenen Linien wurden zu Ausdrucksträgern seiner Arbeiten.

Die Struktur und Ausfertigung jedes Möbelstücks wurde komplex und einmalig. Die geschwungenen Linien geben dem Objekt eine Kohärenz, indem sie das Ganze zusammen binden. Die Verzierungen dienen nicht nur der Dekoration, sie haben ihre Funktion, sie wirken im Raum. In seinen früheren Arbeiten verzichtete van de Velde oft auf das Dekorative, oder es wurde nur sehr selten verwendet. Reine Möbelform, die Konstruktionselemente wurden dagegen betont. In den Jahren 1897 - 1905 handelte er nach dem Prinzip, das die Grundelemente einer Konstruktion betont: ein Schreibtisch dient wie jeder Tisch zur Arbeit, alle Tischelemente sollten der Funktion und nichts anderem unterordnet werden. Das Gleiche betrifft die Stühle und die Sessel, bei denen die bequemen Lehnen uns zum Sitzen und Ausruhen anlocken. Die Möbel aus dieser Zeit laden uns zu ihrem Gebrauch ein, sie verbinden Expression und Funktionalismus. Die Proportionen zwischen der Konstruktion und den Verzierungselementen sind ausgewogen, man soll jedoch anmerken, dass die Sorge um die Form wichtiger ist als der dekorative Endeffekt.

Im Jahre 1901 wurde Henry van de Velde von dem Großherzog Wilhelm Ernst nach Weimar (Herzogtum Sachsen-Weimar) eingeladen. In dieser Zeit litt die Industrie des Herzogtums unter ökonomischen Schwierigkeiten und konnte mit der scharfen Konkurrenz der anderen deutschen Staaten nicht Schritt halten. Dank seinen neuen Ideen sollte das Handwerk gerettet werden. Van de Velde hat die neuen Entwürfe für die Burgel-Keramik, die Korbwaren, darunter Möbel, im Dorf Tannroda und für die Rohrfabrik in Ruhla geschaffen. Er führte auch das "Kunstgewerbliches Seminar" für die künftigen Künstler und Handwerker. Er sammelte Künstler um sich, Handwerker und Industrielle. "Es ist mir gelungen dies noch sechs Jahre vor der Gründung des Deutschen Werkbundes und zwanzig Jahre vor dem Bauhaus zu erreichen" sagte van de Velde.

Die Weimarer Zeit brachte dem Künstler nicht nur Erfolge, sondern auch scharfe Kritik, oder sogar völlige Ablehnung. Kaiser Wilhelm II sagte den Besuch des Zimmers mit der Ausstattung von Henry van de Velde während der "Düsseldorfer Industrieausstellung" ab. Die dort präsentierte Innenausstattung (als Prototyp für das in Weimar geplante Museum) wurde in der Presse scharf kritisiert. Sein Projekt zum Bau eines Theaters für Louis Dumont wurde von dem Hoftheater in Weimar abgelehnt. Seine Projekte für das "Theatre des Champs Elysees" (1910) wurden auch nicht realisiert, obwohl sie teilweise von dem französischen Architekten Perret berücksichtigt wurden. Mehr Glück hatten seine Bauwerke: Villa Esche in Chemnitz (1902), Villa Leuring in Schevingen (Holland 1902), sein eigenes Zuhause "Hohe Pappeln" in Ehringsdorf (Weimar 1902), Kunstschule (1904) und Kunstgewerbeschule (1906/7).

Sein bestes Werk war "Hohenhof", entworfen und gebaut im Auftrag von K. E. Osthaus in der Vorstadt von Hagen. Henry van de Velde gab der Villa den Eindruck eines geordnetes Raumes. Die Harmonie mit der baumreichen Umgebung ist dank der abgerundeten Kanten, der Anwendung des Natursteines und der abgestuften Dachform erreicht worden. K. E. Osthaus schrieb später über das Projekt: "Wie es hier deutlich zu erkennen ist, stützt van de Velde seine Ideen der plastischen Modellierung des menschlichen Körpers und nicht nach dem Prinzip der Raumbrechung. Dies erklärt seine Vorliebe für die griechische und Abneigung gegen die Renaissance-Kunst. "Hohenhof" ist ein Beweis für seine Proben, über die Kubusformen zu herrschen. Es ist besonders an den abgerundeten Ecken im oberen Stockwerk der östlichen Fassade, in Wölbungen der Erkerfenster des Badezimmers und in der Dachform zu sehen. Selbst der Schornsteinentwurf bestätigt seinen Sinn für die weiche Linie. Kein einziger von seinen Gärten und Höfen zeigt die Neigung zum Ordnen des Raumes. Die Belebung wird nicht nur durch die dosierte Spannung zwischen dem Kubus und dem Raum, sondern auch mit der dynamischen Expression des Kubus gesucht".

Nach den nicht gelungenen Erfahrungen mit den Theater für Louis Dumont und mit dem Pariser Theater "Champs Elysees" ist es jedoch zur Realisierung eines neuen Theaters von van de Velde gekommen. Er hat am Rheinufer in Köln ein Theater für den deutschen Werkbund entworfen. Zuerst konnte van de Velde wegen fehlender deutscher Staatsbürgerschaft den Entwurf nicht zustande bringen. Jedoch im Februar 1914 hat er dank der Fürsprache des Oberbürgermeisters von Köln Konrad Adenauer den Auftrag bekommen. Fünf Jahre später wurde das Theater eröffnet. Seine Fassade hatte eine außergewöhnliche abgerundete Form. Die technischen Lösungen waren sensationell: das Foyer eines Amfitheaters, abgetrenntes Proszenium, abgerundete Hinterwand und eine dreiteilige Szene erregten großes Aufsehen.

Die Ausstellung des Werkbundes schaffte eine gute Gelegenheit zum Gedankenaustausch. Während des alljährlichen Treffens des Werkbundes (1914) kam es zu einer regen Diskussion zwischen van de Velde und Muthesius. Das Thema der Diskussion waren Kunstverbindungen mit der Industrie oder genauer über den Einfluss der Standarisierung auf das Werk des Künstlers. Der Deutsche Werkbund wurde 1907 in München gegründet mit dem Ziel, Künstler und Industrielle zusammen zu bringen. Sie beabsichtigten eine harmonische Entwicklung in ästhetischer und technischer Hinsicht für die deutsche Industrie.

Unter den Gründern dieser Organisation waren Henry van de Velde, Muthesius, Peter Behrens, Josef Hoffmann, Joseph Olbrich und Richard Riemerschmid. Im Gründungsgesetz dieser Gesellschaft lesen wir, "es gibt keine festen Grenzen zwischen einem Gerät und einer Maschine. Produkte von hoher Qualität können sowohl mit Hilfe einer Maschine, als auch mit Hilfe eines Gerätes hergestellt werden, unter der Bedingung, dass die Menschen die Maschine wie ein Gerät gebrauchen." Die Künstler sollten ihren festen Platz in der industriellen Produktion haben, das Endprodukt sollte "einen Funken der Sensibilität in sich beibehalten und auch an die Kunst anknüpfen".

Muthesius gehörte zu den dynamischsten Mitgliedern im Deutschen Werkbund. Er schlug Peter Behrens für die Berliner Firma AEG vor. Henry van de Velde wollte seine künstlerische Freiheit nicht zugunsten der Industrie aufgeben. Er legte immer noch einen großen Wert auf die traditionelle Kunst und das traditionelle Handwerk. Von Zeit zu Zeit machte er jedoch Entwürfe für die Industrie: es waren Tafelgeschirr für Meißen, Jena und Kopenhagen. Sie waren streng der Norm und dem Prinzip der Massenproduktion unterordnet. Die Meinungsunterschiede zwischen Muthesius und van de Velde führten zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden im Jahre 1914. Muthesius war für Standarisierung. Seiner Meinung nach sollte sich der Künstler auf die allgemeinen Geschmackskriterien stützen. Van de Velde, der von Obrist, Endel und Bruno Taut unterstützt wurde, erwiderte ihm: "So lange im Deutschen Werkbund Künstler bleiben, so lange werden sie gegen alle vorgeschriebenen Regeln und jede Standarisierung protestieren. Der Künstler ist in seinem Wesen ein leidenschaftlicher Individualist, ein spontaner Schöpfer. Niemals ordnet er sich freiwillig der Disziplin unter, die ihn in Normen und Regeln zwingt."

Der Erfolg des Werkbundes war jedoch kurzfristig. Im August 1914 brach der erste Weltkrieg aus. Das Ausstellungszentrum wurde in Kasernen umgewandelt. Inzwischen kündigte van de Velde seine Stelle bei dem Weimarer Hof tiefst enttäuscht von den höfischen Intrigen. Sein Freund Kessler wurde schon früher zum Opfer solcher Intrigen und hat seinen Posten als Weimarer Museumsdirektor verloren. Der Grund dafür waren die skandalösen Aktzeichnungen, die er während der Ausstellung von Rodin präsentierte. Der Kriegsausbruch machte das Verlassen von Weimar unmöglich (als Ausländer musste er sich drei Mal wöchentlich bei der Polizei melden). Seine künstlerische Aktivität wurde auch abgebrochen. 1917 zog van de Velde in die Schweiz um, wo er zahlreiche Kontakte mit Künstlern und Intelektuellen aus Bern und Zürich, darunter Kirchner, Masserel und Romain Rolland intensiv pflegte. Bevor er sich wieder an die Arbeit machte, bekam er von dem holländischen Ehepaar Kroller - Muller (Seefrachtfirma) 1920 einen Auftrag. Im Jahre 1921 baute sich van de Velde ein Haus in Wassenaar bei Haag. Es war eine imposante Holzkonstruktion, die von der Firma Christoph und Unmack aus der Lausitzer Ortschaft Niesky gebaut wurde. Van de Velde hat den holländischen Architekten H. P. Berlage ersetzt.

Van de Velde machte kleine Entwürfe. Jedoch war die Aufgabe von der Familie Kroller - Muller eine ganz neue Erfahrung und Anforderung an ihn. In dem schönen Park de Hoge Veluve sollte ein Gebäude mit Räumlichkeiten für die Bilder-, Plastiken- und Porzellansammlungen der Auftraggeber entstehen. Die in den Jahren 1921-26 geschmiedeten Pläne konnten wegen der finanziellen Schwierigkeiten der Familie Kroller - Muller nicht realisiert werden.

Das Projekt wurde später 1937 in einer vereinfachten Form realisiert und erst 1953 beendet. Obwohl der architektonische Stil des Museums sehr einfach ist, gehört das Gebäude zu den besten Beispielen der Museumsbauwerke aus der Vorkriegszeit. Henry van de Velde schuf dort eine Reihe harmonisch miteinander verbundener Museumsräume, die durch das Tageslicht und die schöne Umgebung einen trefflichen Baukomplex bilden. 1925 kam van de Velde auf Einladung des belgischen Königs Albert und des Ministers für Kunst und Wissenschaften Camille Huysmans nach Belgien zurück. Seine erste Aufgabe war die Eröffnung des Instituts für Schöne Künste in der ehemaligen Abbey de la Cambre in Brüssel. Er wurde dort zum Direktor des Instituts ernannt und konnte sein Wissen und seine Erfahrung aus der Weimarer Kunstgewerbeschule vermitteln. In Tervuren (Vorstadt von Brüssel) baute sich van de Velde ein weiteres Zuhause ("La nouvelle maison"), machte noch einige Privataufträge, vorwiegend arbeitete er für die belgische Regierung als Kunstberater der belgischen Eisenbahn und der Marine. Er wurde zum Vorsitzenden der künstlerischen Beiräte der belgischen Pavillons während der Weltausstellung in Paris (1937) und in New York (1939). Seine beste Arbeit aus dieser Zeit ist zweifellos die Universitätsbibliothek in Gent (1936). Der Leseraum und die Büroräume, sogar die dort untergebrachten Bücherregale deuten von einer sehr edlen Stilführung des Künstlers. Das rationelle Element, ein so charakteristisches Merkmal seiner Arbeit, schlägt jegliches Dekorationselement. Die geschwungene Linie bildet ein kompaktes und überlegtes Ganzes.

Der erste Weltkrieg beendete seine Weimarer Zeit, der zweite Weltkrieg setzte seinem Schaffen das Ende. Diesmal für immer. 1947 verließ van de Velde Belgien und ließ sich in Oberagerij in der Schweiz nieder. Diesmal baute er kein Haus für sich. Er zog in ein Haus nach dem Entwurf von Alfred Roth ein, gebaut 1939. Hier hat er seine Memoiren niedergeschrieben und ist im Alter von 94 Jahren in einem Züricher Krankenhaus gestorben. Seine Reise durch Europa nahm hier sein Ende. Er hatte seinen eigenen "heiligen Weg", um das von ihm angestrebte Ziel zu erreichen, mit der Kraft des Geistes und Verstandes etwas Neues zu schaffen und mit dem Stil der Nachahmung zu brechen. Und mit seinen neuen frischen Ideen hat er sich einen Weg in die Kunstgeschichte geebnet.

Lieven Daenens
Direktor des Design-Museums in Gent / Belgien

   
   
 
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